Unter einer Methode versteht man eine Möglichkeit, mit der sich ein definiertes Ergebnis oder eine Erkenntnis erreichen lässt. Auch im WingTsun nutzen wir Methoden. Sie sind ein Zugang zu den Fähigkeiten, die wir verinnerlichen wollen. Aber was ist der Unterscheid zwischen einem Stil, einer Methode und einem System?
Methoden in der WingTsun-Ausbildung sind beispielsweise das Formentraining, das Freikampftraining („Lat-Sau“) oder auch das sensomotorische Training („Chi-Sau“). Sie führen zu einem Lernziel. Im WingTsun nutzt man beispielsweise das traditionelle „Chi-Sau“-Training um den Tastsinn auszubilden. Allerdings bedeutet das nicht, dass wir nur diesen einen Weg für die Ausbildung dieser Fähigkeit kennen. Auch das ReakTsun-Programm zielt beispielsweise auf diese Fähigkeit ab und beleuchtet das Thema von einer anderen Perspektive.
Unterrichtsmethoden haben oftmals die Eigenheit, dass sie nicht immer das Geschehen der Realität abbilden. Trotzdem bereiten sie uns auf alles Mögliche vor! Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit und die Anfänge des Englischunterrichts. Auch hier gab es stellenweise lächerliche Dialoge als Unterrichtsmethode: Aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich nie eine „Sally“ treffen, die ich fragen muss, ob der Stuhl auf, unter oder neben den Tisch steht – auch wenn dies das Anwendungsbeispiel aus meinen Lehrbuch war. Trotzdem hat es mich einem Thema (in diesem Fall die Präpositionen) näher gebracht. Um sich für die Realität vorzubereiten, muss man sie nicht zwangsläufig nachbilden.
Von den Fähigkeiten zum System
So gut meine Fähigkeiten auch sein mögen, werden sie mich nicht automatisch zu einen guten WingTsun’ler machen. Erst das System bringt die Fähigkeiten, die durch die Methoden unterrichtet werden, zu einem „großen Ganzen“ zusammen. Die Funktion ist hierbei das Wichtigste. Für den Kampf betrachtet liegt sie im „Wegsein und Weghauen“. Entscheidend ist hierbei das WingTsun-Prinzip: „Begrüße was kommt, begleite was geht, ist der Weg frei, geh vor!“. In vielen Übungsmethoden ist das Prinzip enthalten, jedoch erschließt sich der Sinn nur, wenn man bereit ist manche Strukturen der Übungsmethoden in Frage zu stellen und sich traut mit ihnen zu experimentieren. Wer aus Respekt vor der Tradition nur die Bewegungen der alten Meister nachmacht, der tritt vielleicht in deren Fußstapfen. Jedoch ist das Ziel nicht den Weg nachzulaufen, sondern zu suchen, was sie einst suchten. Wer dies tut wird die traditionellen Übungen mit einem andere Auge sehen und wahrscheinlich eine höhere Wertschätzung für sie empfinden.
Doch was ist dann der Stil? Nachdem man Fähigkeiten gelernt hat und diese in einem System zusammengefügt hat, ist das Ergebnis im freien Kampf sichtbar. Hierbei spielen weder die Methoden, geschweige denn Techniken eine Rolle, die einem in der Ausbildung begleitet haben. Das Bewegen an sich wird freier und passt sich zunehmend der Persönlichkeit und den persönlichen Präferenzen an – jedoch ohne das Prinzip zu verlieren. Auch hier kann man eine Parallele zur Sprache entdecken: Jeder Autor ist dem Vokabular, der Rechtschreibung und der Grammatik der Sprache unterworfen, mit der er sich individuell ausdrücken kann. Es ist die Art und Weise, wie sich ein Autor ausdrückt, der seinen eigenen Stil ausmacht. Dies ist die Vision des Meisters: Die Regeln kennen um sie dann zu brechen. Die Prinzipien und die Funktion sind der gemeinsame Nenner der WingTsun-Meister. Die Methoden sind der gemeinsame Weg, der jeden zu seinem individuellen Ziel führt – Egal ob es kurz-, mittel- oder langfristig ist.