Die Kraftquellen im WingTsun
Um unsere Stöße kraftvoll aber gleichzeitig flexibel ausführen zu können, müssen wir im Moment des Stoßes unsere Muskulatur entspannt lassen. Wir machen dies im WingTsun indem wir alle Bewegungen aus der Beckenpartie ansteuern und folgende Kräfte für uns nutzen:
- die Schwerkraft
- die Rotationskraft
- die Reaktionskraft
- die Muskelkraft
Schwerkraft
Bei der Schwerkraft wird das Eigengewicht von oben nach unten fallengelassen und mit Hilfe der Extremitäten (Faust, Hand, Ellenbogen usw.) nach vorne auf die Dochtlinie (direkt und indirekt) des Gegners gebracht. Hierbei kann man beim Stoßen einen Schritt in jede Richtung machen oder in sich zusammenfallen. Der Treffer muss kurz vor dem Absetzen oder Zusammensacken des Körpers zustande kommen, damit die Fallkraft in den Gegner übertragen werden kann.
Rotationskraft
Bei der Rotationskraft muss die rotierende Seite auf die Achse des Gegners gebracht werden. Die Bewegung wird aus dem Becken angesteuert. Mit Hilfe des gegenüberliegenden Fußes drückt man sich in den Gegner hinein und zuletzt streckt man den Arm und überträgt die Kraft zur Dochtlinie des Gegners. Hierbei ist wichtig, dass man sich auf der eigenen Achse in den Gegner dreht und keine Gewichtsverlagerung macht, sonst geht die Kraft zur Seite oder nach hinten verloren.
Reaktionskraft
Bei der Reaktionskraft holt man sich die Kraft aus dem Boden. Die gelieferte Kraft des Gegners drückt uns in den Boden hinein und durch die Aufladung und Streckung der eigenen Beinmuskulatur holt man sich die Kraft aus dem Boden, um wieder zurückzukehren. Hierbei wird die Bewegung aus den Beinen und dem Rumpf angesteuert, die Arme folgen der Körperbewegung zum Ziel.
Muskelkraft
Die Muskelkraft ist von den Kräften her die schwächste Kraft, die wir zur Verfügung haben. Bei der Benutzung der Muskelkraft ist es wichtig eine geschmeidige Muskulatur zu haben, die sich anpassen kann und flexibel ist, was auch von der Ernährung und dem allgemeinen Fitnesszustand abhängt.
Hierbei ist es wichtig die gebrauchte Muskulatur für eine Aktion im richtigen Moment anzuspannen und gleichzeitig die Antagonisten etwas zu entspannen. Das ist eine Frage der Körperwahrnehmung und der richtigen Ansteuerung, die wir in den Formen und Trainingsmethoden erlernen können. Immer wieder hört man, im WingTsun bräuchte man keine Kraft. Da bin ich etwas anderer Meinung. Wenn es um Anpassung, Aufnehmen und Absorbieren geht, muss man die Kraft minimieren oder sich im richtigen Moment komplett lösen, um die gegnerische Kraft zu nutzen oder ins Leere laufen zu lassen. Damit ist die Auseinandersetzung aber nicht beendet.
Wenn es um den Angriff geht, braucht man eine gewisse Körperstruktur und alle Kräfte, die einem zur Verfügung stehen um den Gegner durch ein K.O. so schnell wie möglich kampfunfähig zu machen. Ich bin der Meinung, dass die Muskelkraft zwar die schwächste Kraft ist, die wir zur Verfügung haben, aber trotzdem ein wichtiger Faktor für die körperliche Ansteuerung und Steigerung der Schwerkraft, Reaktionskraft und Rotationskraft ist. Somit hängt alles durch Wechselwirkung zusammen.
Cosimo My
Ein sehr interessanter Artikel! Sind die Rotationskräfte und die Reaktionskraft den nicht auch von der Muskelkraft abhängig? Ich meine die Art wie die Kraftübertragung erzeugt wird ist jeweils eine andere. Viele Grüße aus Wuppertal
Lieber Wolfgang, für fast alle Arten der Kraftgenerierung, ist die Beschleunigung durch Muskelkraft essenziell. Viele verwechseln aber Kraft und Masse bei Muskulatur. Grüße zurück aus Bad Wildungen
Die Schwerkraft wirkt ja nun leider nach “unten”. Man kann sie also für Schläge nach unten nutzen. Für horizontale Schläge kann sie nur sehr bedingt und nicht effektiv genutzt werden.
Lässt man den Körper unter Schwerkrafteinfluss vorwärts kippen, um den Schlag zu verstärken, entsteht die vorwärts gerichtete Geschwindigkeit/Kraft nur langsam.
Lässt man den Körper fallen, entsteht eine zum Boden gerichtete Geschwindigkeit, die sich zur Geschwindigkeit der horizontal z.B. aus dem Arm geschlagenen Faust addiert. Während die Faust horizontal 5 bis 10 m/s erreicht fällt der Körper nach der kurzen möglichen Fallstrecke mit 1 m/s. Das Ergebnis der Kräfte-/Geschwindigkeitsaddition ist enttäuschend.
Wenn man dann noch berücksichtigt, dass der WT-Fauststoß eher aufwärts gerichtet ist, dürfte das Fallenlassen des Körpers für die Schlagkraft eher kontraproduktiv sein.
So ist es. Deshalb ist für den WT-Fauststoß die Streckmuskulatur und Reaktionskraft aus dem Boden geeignet. Rotationskraft aus dem Torso würde ich eher für Haken oder Schwinger empfehlen. Für Hammerschläge von oben nach unten (Diagonal oder Perpendikular) eher die Fallkraft! Am Ende muss aber alles harmonisch und übereinander laufen. mfg Cosimo My