Nach jedem Lernen muss das Geübte nach und nach von einem ganz bewusst gesteuerten Vorgang zu einer spontan ausgeführten Handlung übergehen, nur so ist eine bestmögliche Leistung möglich. Die Leistung ist abhängig von der Atmung und Haltung des Körpers. Damit die Atmung richtig funktioniert, muss der Körper richtig organisiert werden. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn die gesamte Übung frei von Emotionen ist.

Durch die Katas oder Formen sollte ein Zustand der vollkommenen Gelassenheit erlangt werden. Diese Gelassenheit wird in manchen Philosophien, wie im Taoismus oder Chan-Buddhismus, mit Nicht-Denken oder Nicht-Tun bezeichnet. Wiederholen oder Technik einschleifen, ist im asiatischen Kontext so zu verstehen, dass die Folgebewegung möglichst wenig anders zu machen ist als die vorangegangene Bewegung. Damit ist nicht gemeint etwas einzuschleifen oder zu automatisieren.

Wie ein Kleinkind, das sich beim Aufrichten durch minimale Bewegungen immer mehr der Schwerkraft entzieht, braucht der Mensch ein viel feinfühligeres Körperverständnis für die Optimierung einer Bewegung und dies wird in den Kampfkünsten durch die verschiedenen Formen oder Katas übermittelt. Hier geht es für den Übenden darum, alle Bewegungen durch ständiges Wiederholen zu verbessern (aber nicht zu automatisieren), den Körper und Geist auszurichten und alle Denkprozesse abzuschalten.

Schnelligkeit

Als erster Sinn für die Früherkennung steht mir meine optische Fähigkeit zur Verfügung, aber nicht nur indem ich etwas sehe, sondern indem ich meine Achtsamkeit benutze. Der Gegner, die Umgebung, der gegnerische Abstand, seine Bewegungsrichtung werden somit durch meine Wahrnehmung erkannt und mein Körper passt sich mit Hilfe meiner Augen der Bewegung des Gegners schon mal optisch an. Sind die Hände vor meinem Körper platziert (außer- oder innerhalb meines Körperrahmens), berührt der Gegner meine Extremitäten. Das ist der Moment in dem mein Muskelsystem, das größte Wahrnehmungsorgan das wir haben, die optisch eingeschätzte Richtung überprüft und gegebenenfalls korrigiert.

Im Moment der Kontaktaufnahme bekommen wir mit Hilfe der Propriorezeptoren alle Informationen die wir brauchen, um den Gegner mit seiner eigenen Kraft, Geschwindigkeit und seinem Körpergewicht an uns vorbeizulassen oder vorzustoßen, wenn sich die Gelegenheit ergibt und wenn wir es möchten.
Wichtig hierbei ist, dass unser Gegenangriff immer mit dem gegnerischen Angriff im richtigen Timing erfolgt. Also kurz bevor sein Angriff abgeschlossen ist und zwar dann, wenn der Gegner seine Richtung nicht mehr ändern kann oder in dem Moment wo der
Gegner beginnt. In beiden Fällen ist der Kontrahent am schwächsten.

Schlagkraft

Um die richtige Durchschlagkraft auf einen Punkt zu bringen, aber auch gleichzeitig die entsprechende Lockerheit beizubehalten, nutzen wir für den Angriff oder Gegenschlag nicht die Muskelkraft als erste Kraftquelle, denn das würde unser Fühlsystem schwächen, sondern wir nutzen als Hauptquellen die Reaktions-, Rotations- oder Schwerkraft die es uns erlauben
kraftvoll zu schlagen ohne die Muskulatur extrem anzuspannen.

Um dies korrekt auszuführen, braucht man also Achtsamkeit und die Staffelung der Sinne, um das Ganze einzuschätzen und zu erfühlen. Ebenso braucht man Flexibilität, um nicht getroffen zu werden, aber um gleichzeitig selbst kraftvoll zu treffen. Gleichgewicht, um nach dem Schlag wieder Körpereinheit zu bekommen um nachzusetzen, falls etwas schiefläuft.
Timing, um im richtigen Moment kraftvoll zu stoßen und Kampfgeist, um überhaupt die richtige Einstellung zu einem Kampf oder einer Selbstverteidigungssituation zu bekommen.

Cosimo My