Am 22.08.2017 gab das Polizeipräsidium Bielefeld eine Pressemitteilung mit dem Titel „Gegenwehr steigert die Aggressivität bei Räubern“ heraus. Die Kritik auf der Facebook-Seite der Polizei NRW Bielefeld und in anderen Sozialen Medien war überdurchschnittlich groß. Wir sind davon überzeugt, dass Gegenwehr in vielen Fällen ratsam und auch notwendig ist, allerdings darf Gegenwehr nicht um jeden Preis erfolgen.

Was war eigentlich passiert?

Ein 34-jähriger Bielefelder wurde von einer Gruppe Männer verfolgt, die schließlich nach der in der Hand des Mannes befindlichen Regenjacke griffen. Der Bielefelder wehrte sich gegen den Raubversuch. Leider hat seine Gegenwehr die Täter dazu veranlasst mit Faustschlägen auf den Mann einzuwirken, bis dieser zu Boden ging.

Der Ratschlag der Polizei:

Leisten Sie nur Widerstand, wenn sie sich dem Täter gegenüber körperlich überlegen fühlen und eine reelle Erfolgsaussicht besteht. Ihnen könnte bei aktiver Gegenwehr durch massive Gewalteinwirkung oder durch den einen Sturz erheblicher Gesundheitsschaden drohen. Die Polizei rät außerdem sich den oder die Täter und den Tathergang einzuprägen, Zeugen zu finden und somit die Strafverfolgung zu unterstützen.

Was wir an dem Ratschlag kritisieren:

Es ist wahr, dass mit einer Gegenwehr immer das Risiko einhergeht, in einen Kampf verwickelt zu werden – genauso wie das Risiko bei Erste-Hilfe-Maßnahmen besteht, jemanden noch schlimmer zu verletzen. Pauschal zu schreiben „Gegenwehr steigert die Aggressivität bei Räubern“ lässt jedoch den Eindruck entstehen, dass Gegenwehr generell keine gute Idee ist. Dann müssten wir auch jedem von Erste-Hilfe-Kursen abraten. Aufgrund eines Ereignisses die Empfehlung abzugeben, sich besser nicht zu wehren, finden wir übereilt. Es ist außerdem nicht gesagt, dass Menschen die sich nicht verteidigen, keine Prügel beziehen. Womöglich macht man sich zum idealen Opfer das für den Täter risikolos und ohne drohende Konsequenzen anzugreifen ist – wer an Mobbing in der Schule denkt, der wird schnell verstehen was wir meinen: Gewalt braucht leider nicht immer einen Grund. Ob der wirkliche Grund in diesem Fall die Regenjacke war oder nicht ist schwer zu sagen und reine Spekulation. Genauso denkbar wäre es, dass Lust und Laune jemanden anzugehen hier der Auslöser war. Machen wir uns einmal frei von der Art des Rechtsbruchs und stellen wir die Frage etwas allgemeiner:

Ist Gegenwehr ratsam?

Eine, zugegebenermaßen etwas in die Jahre gekommene, Studie der Polizeidirektion Hannover zum Gegenwehrverhalten bei Sexualstraftaten untersuchte 522 Fälle in der Zeit von 1991 bis 1994. Es wurde unterschieden zwischen: keiner Gegenwehr, leichter Gegenwehr und massiver Gegenwehr. Das Ergebnis der Studie zeigte, dass massive Gegenwehr in 84% der Fälle zu einem Abbruch der Tat führte. Leichte Gegenwehr hatte in 64% der Fälle Erfolg. Im öffentlichen Bereich lag der Erfolg bei massiver Gegenwehr sogar bei 92%.

Grenzen setzten, Grenzen bewachen und diese notfalls zu verteidigen ist unsere tiefe Überzeugung – nicht nur bei Sexualstraftaten. Leider ist es schwierig, an aktuellere Statistiken zur Wirksamkeit von Gegenwehr im Allgemeinen heranzukommen – falls es sie denn überhaupt gibt. Die Frage ist aber in der Tat, ob pauschale Aussagen generell Sinn machen. So entschieden, wie wir gegen die pauschale Aussage sind, dass Gegenwehr keine gute Idee ist, so sind wir ebenfalls entschieden gegen die pauschale Aussage, dass Gegenwehr immer Sinn macht. In dem Statement der Polizei wurden durchaus wichtige Überlegungen genannt.

Was wir am Ratschlag der Polizei befürworten:

Die richtige Einschätzung der Situation ist essenziell. Blind den Kampf gegen eine Gruppe aufzunehmen ist gefährlich und kann dazu führen, dass man nicht nur (wie in diesem Fall) die Regenjacke, sondern auch die eigene Gesundheit verliert. Situationen wie diese frühzeitig zu erkennen und eine Strategie zu haben, erhöht die Handlungsoptionen und die Chancen, unbeschadet aus der Situation zu entkommen. Auch die Flucht ist eine legitime Möglichkeit, die man idealerweise ergreift, bevor jemand unmittelbar neben oder hinter einem steht. Das Erkennen der Situationen und die daraus resultierenden Möglichkeiten kann man üben!

Ebenfalls einverstanden sind wir mit dem Tipp, sich Merkmale der Täter und des Tathergangs zu merken. Auch das ist eine Fähigkeit, die man trainieren kann. Einige Merkmale sind leicht veränderbar, wie z.B. die Farbe der Jacke. Dinge wie Gesichtszüge, Merkmale der Sprache, Größe und Gewicht sind für den Täter nicht so leicht abzulegen und erleichtern der Polizei womöglich die Fahndung.

Auch sollte klar sein, dass die Strafverfolgung ganz eindeutig Sache der Polizei ist. Der Weg ins nächste Polizeirevier oder das Absetzen eines Notrufs ist in einem solchen Fall keine Option, sondern obligatorisch. Was die Strafverfolgung angeht sind die Menschen im Polizeidienst die unangefochtenen Profis – auch wenn sie nicht jedes Verbrechen aufklären können, genießen sie unser vollstes Vertrauen.

Sifu Lukas Vahle