WingTsun_Doppelmesser_01

Wenn ich mir aus heutiger Sicht das WingTsun und seine Entwicklung vergegenwärtige, dann erkenne ich zwei unterschiedliche Vorgehensweisen:
• die anpassungsfähige und indirekte Vorgehensweise
• die kompromisslose und direkte Vorgehensweise

Bei der ersten benutzen wir verschiedene Trainingsmethoden um
– Bewegungen
– die Funktion hinter den Bewegungen
– und die WingTsun-Prinzipien zu vermitteln.

Wir beleuchten alle Aspekt von verschiedenen Seiten und machen uns zunehmend frei von festgelegten Formen. Unser Ziel ist es, unsere WingTsun-Fähigkeiten zu optimieren und dadurch eine bessere (Körper-)Wahrnehmung zu bekommen. Die Selbsterkenntnis ist hierbei unser größtes Ziel. Sie soll uns zu einem eigenen Stil oder zu einer eigenen Interpretation der Kampfkunst führen.

Kompromisslose Selbstverteidigung

 

Als ich mit WingTsun anfing, war die Vorgehensweise eine andere: Wir haben uns verteidigt, indem wir selbst die Initiative ergriffen und den Aggressor letztendlich selbst angegriffen haben. Hierbei wurde immer darauf hingewiesen, dass wir die Kraft des Gegners nutzten – soweit die Theorie. Rückwirkend muss ich jedoch sagen, dass unser Handel in der Praxis wenig bis gar nichts mit Anpassung oder mit Nachgeben zu tun hatte. Wir überschritten katapultartig die Distanz zum Gegner und gingen direkt „in den Mann hinein“. Diese Strategie ist praktisch und effektiv, mit einer höheren Selbsterkenntnis hat dieses Konzept jedoch wenig zu tun. Es ging hauptsächlich um fertige Techniken (Fertigkeiten), wie z.B. Kettenfauststöße, Kicks, Ellenbogen- und Kniestöße. Unsere Bewegungen wurden von uns bewusst und aus eigener Initiative ausführten.

Viele WingTsun-Meister, die sich in den 1980er und Anfang der 1990er Jahre einen Namen als Kämpfer machten, hatten diese Vorgehensweise zu eigen. Die entsprechend gute körperliche Konstitution und eine kämpferische Grundeinstellung brachten sie bereits mit. Ein Problem entstand immer dann, wenn der Kontrahent oder Schüler sich nicht auf das Spiel einließ und selber dagegen hielt. Oft eskalierte die Situation, weil der Schüler nicht nachgeben konnte – der Meister allerdings auch nicht.

 

WingTsun_Langstock_01

Beides zusammen ergibt WingTsun!

 

Trotzdem lassen sich die beiden gegensätzlichen Strategien weder trennen, noch kann und möchte ich einer der beiden Vorgehensweisen den Vorzug gewähren! Wie im Yin & Yang beeinflussen sich beide Seiten gegenseitig und ergeben nur zusammen das, was ich persönlich WingTsun nenne.

Wer den Anspruch erhebt, sich frei bewegen zu können und nicht limitiert zu sein, der muss beide Seiten kennen und beherrschen lernen. Man darf nie aufhören beide Seiten stetig weiter zu entwickeln und zu üben. Ab einem gewissen Grad muss man Übungen wieder loslassen und stattdessen spielerisch kombinieren und experimentieren. Erst dann erkennt man den Wert beider Seiten und erkennt, in welcher Situation man sich welcher Strategie bedient. Passend hierzu habe ich eine Passage gefunden, die Bruce Lee in seinem Buch „Tao of Jeet Kune Do“ im Jahr 1975 veröffentlichte:

„When there is freedom from mechanical conditioning, there is simplicity. The classical man is just a bundle of routine, ideas and tradition. If you follow the classical pattern, you are understanding the routine, the tradition, the shadow – you are not understanding yourself.“ – Bruce Lee

 

Frei übersetzt:

„Besteht Freiheit von mechanischen Konditionierungen, dann herrscht Einfachheit. Die Traditionalisten sind nur die Summe aus Routinen, Ideen und aus Traditionen. Wenn du dem traditionellen Muster folgst, verstehst du die Routinen, die Tradition, den Schatten – dich selbst wirst du nicht verstehen. “

 

Ich freue mich auf das nächste Training mit euch! Ich bin schon hochmotiviert!

Liebe Grüße,
Euer Sifu Cosimo